Blicke

Beim Lebensmitteldiscounter mit dem großen A im Logo sind vom Rentnerehepaar über Mutter mit Kind bis zur gut betuchten Ehefrau alle möglichen Mitglieder der Gesellschaft zu finden. Aber die Gestalt, die ich etwas abseits stehend fasziniert beobachtete, machte den Eindruck, sonst nie ein derartiges Geschäft zu betreten. Nicht diesen Discounter und auch sonst keinen Laden, in dem man so etwas Banales wie Lebensmittel erstehen konnte. Nein, dieser Mann sah in seinem einfach umwerfend aussehenden Businesslook so aus, als hätte er dafür Personal. Mindestens eine Haushälterin.

Im Berufsleben befand er sich bestimmt an der Spitze der Nahrungskette. Ein Alphatier. Doch hier stand er mit einer charmanten Unbeholfenheit inmitten des weihnachtlichen Naschwerkes und suchte offensichtlich etwas. Aber nein, er suchte natürlich nicht selbst. Er hatte es glatt geschafft, eine der viel beschäftigten Verkäuferinnen für sich zu vereinnahmen, und entschuldigte sich gerade mit einem entwaffnenden Lächeln bei ihr, sie durch den ganzen Laden gescheucht zu haben.

Bei diesem Lächeln blieb der Verkäuferin gar nichts anderes übrig, als zu versichern, dass ihr das nichts ausmache. Helfen konnte sie ihm nur leider auch nicht, denn das gewünschte Naschwerk war gerade ausverkauft.

Meine Gedanken schweiften ab. Während ich so tat, als würde ich die Zutatenliste einer Tomatensauce studieren, sah ich mich nackt mit gesenktem Kopf vor diesem Mann knien.

Er trüge weiterhin seinen Anzug. Mit einer Gerte in der Hand, mit der er sanft meinen Körper abtasten würde. Mit der Spitze führte er sie unter mein Kinn und würde es sanft anheben, sodass sich mein Blick mit dem seinem träfe. In mir würde sich ein wohliges Gefühl ausbreiten. Ein Gefühl des Ankommens, ein Gefühl, genau dort zu sein, wo ich hingehöre. Unterworfen von diesem Alphatier, aber auch behütet und beschützt.

Nein, er bräuchte keine Haushälterin. Er hätte ja mich. Das wäre für Andere vielleicht unverständlich und der Albtraum jeder Emanze, aber ich würde darin aufgehen, ihm den Rücken freizuhalten. Ihn von allen Ärgernissen des Alltags fernzuhalten. Er müsste sich nicht darum kümmern, dass immer etwas zum Essen im Haus ist. Wenn er nach seinem arbeitsreichen Tag nach Hause käme, würde er eine aufgeräumte Wohnung und ein gutes Mahl vorfinden. Und ein williges Weib, wenn ihm danach wäre. Ich sah mich mit einem adretten kleinen Dienstmädchenkleid seinen Wein nachschenken. Während seine Hand unter den kurzen Rock wandern würde …

Er bräuchte sich aber auch nicht mehr um all die anderen Lästigkeiten des Alltags kümmern. Seine privaten Rechnungen wären immer pünktlich bezahlt, all der Papierkram erledigt und der Alltag organisiert. Ich wäre seine perfekte, kleine persönliche Assistentin. Dies und noch viel mehr.

Und wenn ich seinen Ansprüchen an Perfektion nicht genügen würde, hätte er sicher Mittel und Wege, mich so zu formen, wie es seinen Wünschen entspricht.

Bad End

Barsch wurde ich aus meinem Tagtraum gerissen. »Kannst Du die Liste nun auswendig? Trödel nicht herum, ich will endlich wieder nach Hause!«, wurde ich angefahren.

Selbst mein heimlicher Traummann drehte sich bei diesen nicht gerade leise ausgesprochenen Worten um. Mir war bewusst, was er bei seinem kurzen Blick auf uns wahrnahm: Den Mann an meiner Seite, bei dem ich mich schon lange fragte, warum ich ihn geheiratet hatte. Schon von weitem sah man ihm mittlerweile an, dass er sein Leben größtenteils auf dem Sofa verbrachte und ganztags den TV-Bildschirm anhimmelte, während er sich immer weiter gehen ließ. Nur noch selten war er rasiert und seine Lieblingskleidung bestand aus der obligatorischen blauen Jogginghose mit den drei weißen Streifen. Eigentlich sollte das Teil eher Sofahose heißen.

Tja. Und neben diesem Mann stand ein graues Mäuschen. Ich. Ganz kurz traf sich mein Blick mit dem der Hauptrolle meines Traumes. Mitleid stand in seinen Augen und ich musste meinen Blick sofort wieder abwenden, wäre am liebsten sofort in einem Loch versunken.

»Lass uns gehen«, murmelte ich meinem Mann zu und kämpfte gegen die Tränen, die sich in mein Auge stehlen wollten. Weil ich wohl nie den Mut aufbringen werde, etwas in meinem Leben zu ändern.

Open End

Wieder in der Realität ankommend, erwachte ich aus meinem Tagtraum. Der Mann meiner Begierde war verschwunden. Gedankenverloren legte ich die Sauce in meinen Einkaufswagen und erledigte zerstreut meine restlichen Einkäufe.

Das Jahr neigte sich dem Ende – und nahm man sich da nicht gute Vorsätze fürs neue Jahr vor? Mein Vorsatz lautete, endlich mutig einen Schritt nach vorne zu machen. Schon zu lange gab ich mich solchen Fantasien hin, ohne je den Mut gefunden zu haben, sie endlich in die Realität umzusetzen. Das sollte sich nun ändern. Noch heute wollte ich mich endlich auf dieser Seite im Internet anmelden, auf der ich bislang nur anonym mitgelesen hatte. Vorsichtig wollte ich versuchen, Kontakte zu Leuten zu knüpfen, die gleiche Fantasien haben und diese – im Gegensatz zu mir – bereits ausleben. Vielleicht würde ich mich dann eines Tages trauen, noch einen weiteren Schritt nach vorne zu machen.

Der Einkauf war erledigt und die Tüten waren im Kofferraum verstaut. Ich brachte den Einkaufswagen zurück, schob ihn zu den anderen und entnahm meine Münze. Als ich mich entschlossen umdrehte – denn schließlich hatte ich ja gerade einen Entschluss gefasst, stieß ich sehr energisch gegen den Korb eines Einkaufwagens, der plötzlich hinter mir stand und wohl darauf wartete, zurück in sein Gehege geschoben zu werden. Die Münze in meiner Hand entglitt mir und als ich mich nach ihr bückte, tauchten zwei glänzend schwarze Herrenschuhe in meinem Blickfeld auf.

»Nicht so stürmisch«, sagte der Besitzer der Schuhe von oben herab. Während er mir aufhalf, trafen sich unsere Blicke.

Happy End

Wohlig seufzend stellte ich die Tomatensauce wieder ins Regal – denn so etwas würde sich niemals in meinen Kochtopf verirren – und trat aus meinem heimlichen Beobachtungsposten hervor. Mein Traummann erblickte mich und hob bedauernd seine Hände.

»Tut mir leid, aber es ist ausverkauft.«

Ich trat auf ihn zu, stellte mich frech auf die Zehenspitzen und küsste ihn kurz auf den Mund. Als ich mich wieder auf meine Ebene hinab begab, kreuzten sich unsere Blicke auf genau jene Art, wie sie mir kurz zuvor im Kopf erschienen war. Aber nicht nur die Blicke trafen sich, sondern auch die Funken, die wir aussendeten, sobald wir uns auf diese Weise annäherten. Fragend sah er mich an, äußerte sich jedoch nicht.

»Danke, dass du für mich nachgefragt hast«, erklärte ich. »Lass uns zur Kasse gehen. Ich will dich nicht weiter mit diesem Ort quälen«, fügte ich schmunzelnd an.

»Wieso?«, gab er lachend zurück, »es ist doch interessant für mich, zu wissen, wo du normalerweise deinen Tag verbringst!«

»Nachdem du aber heute schon so früh Feierabend gemacht hast, würde ich dich lieber an einem anderen Ort verwöhnen«, raunte ich ihm neben dem Obstregal zu.

»Na, dann nichts wie raus hier.« Er grinste, legte besitzergreifend seine Hand auf mein Hinterteil und wir stellten uns an der Kasse an.

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