Eiskaltes Händchen

Tief in den Schnee hinein. Kälte. Eine sofort alles durchdringende Kälte. Eine willkommene Kälte. Nach der Hitze. Der Blick hebt sich. Trifft sich mit dem seinen. Beide Augenpaare lächeln.

„Tut es gut?“, durchbricht er die Stille. Die Stille, die einer verschneiten Winternacht anhaftet.

Sie nickt, ist ihrerseits noch nicht bereit, die Stille zu durchbrechen. Weder die Äußerliche, noch die Innerliche.

„Komm wieder rein, der Rest von Dir glüht nicht so wie Deine Hände.“

Ein gemeinsam gedachtes „Leider“ hängt in der Luft. In dieser klaren Winterluft, in der sachte ein paar Schneeflocken hinabsinken.

Sie hat sich nur eine Wolldecke übergeworfen und ist in ein Paar seiner Schuhe geschlüpft, die nun viel zu groß, aber doch sehr effektiv ihre Füße vom Schnee trennen. Unter der Decke ist sie nackt. Unter ihrer Haut ist sie noch nackter. Vor ihm.

Die Wärme des Wohnzimmers nimmt die Beiden wieder auf. Umhüllt sie, so dass die Decke, die ganz von alleine, so als wüsste sie, dass sie nun nicht mehr gebraucht würde, von ihren Schultern rutscht.

„Es geht weiter“, sagt er und sieht sie erwartungsvoll an.

Sie sieht fragend zurück.

„Na los, Hände wieder hoch.“

Sie ist aus dem Konzept gebracht. Im Geiste hatte sie dieses Kapitel abgeschlossen, war stolz auf sich, es ertragen zu haben, aber wollte nicht weiter gehen. Es war zu Ende. Nächstes Kapitel bitte. Etwas anderes. Aber nicht weiter dies. In seinen Augen sieht sie, dass er wohl ein anderes Buch in den Händen hielt als sie. Sein Kapitel war noch nicht beendet.

Langsam und dabei schluckend hebt sie wieder ihre Hände. Die Handflächen nach oben gedreht. Wie eine stumme Bitte, etwas zu erhalten. Eine Bitte, die sie nicht fühlt. Ihre Bitte wäre das nächste Kapitel gewesen. Aber so wurde nur ein neuer Absatz begonnen.

Genauso langsam nimmt er wieder den Stock auf, der an der Wand gelehnt hatte. Sie kann nicht hinsehen, ihr Kinn sinkt auf ihre Brust. Die Augen können sich nicht ganz entschließen, ob sie geschlossen oder geöffnet sein wollen. So bleiben sie halb geöffnet. Nicht direkt auf die Hände gerichtet, sondern sie eher nur im Augenwinkel erfassend.

Hände, die rot sind. Die am Anfang des Kapitels schon gelitten hatten. Hände, die tapfer ausgehalten hatten, bis sie sich im Schnee abkühlen durften.

Ein Schlag und spontane Tränen. Warum jetzt sofort und vorhin gar nicht? Warum war jetzt alles anders? Noch ein Schlag. Spontanes Wegzucken.

„Bleib bei mir!“

Tempuswechsel. Schneller. Enormer Willen. Der aber bröckelt.

Ihre Knie knicken ein. Sie sinkt. Sinkt vor ihm, sinkt in sich. Die Hände weiter oben.

Die Tränen laufen, sie schluchzt.

„Bitte…“

Sie sinkt endgültig in sich zusammen. Keine erhobenen Hände mehr. Trotz all des Schmerzes umklammern sie stattdessen nun seine Füße.

„Bitte, bitte…“, flüstert sie immer wieder, unfähig, einen ganzen Satz daraus zu machen.

Seine Hand in ihrem Nacken. Er drückt, drückt sie noch weiter runter, lässt sie nicht mehr hoch. Und sie fühlt sich ankommen. Genau dort will sie sein.

„Frohe Weihnachten, mein Engel“, sagt er und schiebt ihr ein kleines Päckchen hin. Eines, bei dem sie glücklicherweise nur den Deckel heben muss und die Hand in ihrem Nacken gibt ihr Platz, das zu tun.

Handschuhe. Ganz weich. Sehr weich.

„Da Du doch immer so kalte Hände hast.“

Ja, nur nicht jetzt.

© Devana Remold