Das rote Band

Ich halte das rote Band in den Händen und überlege, wo ich es am besten an mir anbringe.

Du hast zu mir gesagt, Du möchtest von mir dieses Jahr kein Geschenk haben. Ein Satz, den ich natürlich nicht stehen lassen kann. Erst habe ich überlegt, dann eben nur eine Kleinigkeit zu schenken. Etwas von so geringem Wert, dass Du nichts dagegen sagen kannst. Aber eben auch etwas, das dennoch zu hundert, nein, zu hundertfünzig Prozent zu Dir passt. Etwas, woran Du siehst, dass ich Dich so gut kenne wie noch nie jemand zuvor und Dir deshalb dieses sagenhafte Geschenk machen kann, obwohl es keine zehn Euro gekostet hat. Etwas, was Deine Augen groß werden lässt und sie zum Leuchten bringt. Etwas, was Du schon immer haben wolltest, aber es nur noch nicht wusstest. Etwas, dass Dir zeigt, wie sehr ich Dich liebe und wie viel Du mir bedeutest.

Das Dumme war nur: Mir ist nichts eingefallen.

Glücklicherweise wusstest Du ja nichts von diesem Plan und meiner Einfallslosigkeit. Also war der nächste Plan, Dir einfach etwas Süßes zu schenken. Das geht immer. Dachte ich. Bis Du zu Beginn der Adventszeit lapidar gesagt hast, dass Du dieses Jahr allen Lebkuchen, Marzipankartoffeln und ähnlichem Naschwerk entsagst und Dich auf Diät setzt. Anfänglich dachte ich, dass Du das keine drei Tage durchhältst (vor allem, da ich zugegebenermaßen ja schon etwas fies war und unseren Vorratsschrank mit eben diesen Leckereien gefüllt habe), aber zu meinem großen Erstaunen hast Du eisern durchgehalten. Was zur Folge hatte, dass meine Waage einen kleinen (wirklich nur einen kleinen!) Sprung nach oben getan hat – und bei Dir einen nach unten. Ich kommentiere das jetzt besser nicht.

Jedenfalls habe ich überlegt, ob ich Dir dennoch etwas Süßes schenken soll. So unter dem Motto: „Diese Belohnung hast Du Dir nach all den Entbehrungen verdient.“

Dein eiserner Abnehmwille hat mir dann aber doch imponiert. Während ich also durch die weihnachtlichen Süßigkeitenregale schlenderte und überlegt habe, was davon für Dich unter dem Weihnachtsbaum liegen könnte, bin ich auf die ultimative Idee gekommen. Ich schenke Dir das Süßeste, was Du Dir vorstellen kannst. Dabei hat es keine Kalorien (also jedenfalls nicht im herkömmlichen Sinne).

Mich.

Für diese sagenhafte Idee habe ich mich dann selbst mit einer Packung Gewürzmandeln belohnt (die ich dann abends heimlich verputzt habe, um Dich nicht zusätzlich zu quälen, denn das Quälen ist ja eher Dein Job). Anschließend habe ich dann das schönste rote Geschenkband gekauft, das ich finden konnte (das dieses dann doch einen nicht unerheblichen Preis hatte, erwähne ich jetzt besser nicht).

Dieses Band und mein nacktes Ich sitzen jetzt vor dem Spiegel und überlegen, wie man mich damit am besten als Geschenk dekorieren kann. Na gut, das Band überlegt wahrscheinlich nicht, auch wenn ich eine zweite Meinung durchaus gebrauchen könnte. Wo bringe ich es nur an mir an, damit es hübsch aussieht? Einmal um die Taille (ja, die ist schon noch vorhanden, allen Weihnachtsleckereien zum Trotz)? Sieht das nicht seltsam aus? Einmal um den Kopf mit der Schleife im Haar? Ich teste es aus und mein Spiegel findet das albern und zudem sieht es fast so aus, als hätte ich Zahnschmerzen, da das Band auch über die Backe geht.

Also doch ganz klassisch um den Hals? Der Spiegel sieht zufriedener mit dieser Lösung aus.

Als ich mich jedoch nochmals genau betrachte, kommen Zweifel in mir auf. Ich will Dir mich schenken. Aber das geht gar nicht, denn ich gehöre Dir doch schon. Ich habe mich Dir schon vor langer Zeit geschenkt.

Langsam kleide ich mich wieder an, darauf achtend, Kleidung zu wählen, die Dir gefällt. Ich gehe ins Wohnzimmer und höre Dich in der Küche hantieren. Du kochst heute und hast mir Küchenverbot gegeben. Ich bin schon gespannt, was es geben wird.

Ich beleuchte den Weihnachtsbaum und beginne, den Tisch festlich zu decken. Ich werde Dir heute nichts schenken, wie es Dein Wunsch war. Gemeinsam werden wir uns ein schönes Weihnachtsfest schenken. Fernab jeglichen Konsums. Bis auf ein rotes Band, das jetzt ordentlich zusammengefaltet unter dem Weihnachtsbaum liegt. Du wirst schon wissen, was Du damit anfangen kannst…